Wenn Du Dir die beiden Bilder anschaust, dann kannst Du Dir wahrscheinlich nicht vorstellen, dass sie an demselben Ort, am selben Tag, mit der gleichen Kamera innerhalb von ein paar Minuten aufgenommen wurden.
Beide Bilder wurden am Wittenbergener Strand in Hamburg an der Elbe aufgenommen. Einmal in Richtung Südost und einmal nicht ganz 180 Grad gedreht in Richtung Westen.

Was für einen Eindruck vermittelt Dir das erste dieser Fotos?
Für mich waren es der Nebel und die Sonne, die versuchte durch den Nebel zu brechen, die den Eindruck bestimmten. Ruhe, Unbestimmtheit, Traurigkeit und ein wenig Hoffnung waren die Gefühle, die sich bei mir festgesetzt haben.

Wie anders der zweite Eindruck!
Strahlender Herbsttag, Freude und Begeisterung, Friede und Hoffnung sind die Gefühle, die dieses Bild bei mir hinterlässt.

Ich wanderte elbaufwärts. Ich war in Wedel gestartet. Es war eine echte Nebelsuppe, die den Steg am Willkomm-Höft nur schemenhaft erahnen ließ. Die Wege waren trocken, und nur unter den Bäumen war es nass. Der Nebel schlug sich an den Bäumen nieder und tropfte dann auf den Boden herunter. Wenn man unter den Bäumen entlang ging, konnte man richtig nass werden. So ging ich an der Elbe entlang und nach und nach begann sich der Nebel zurückzuziehen.

Auf dem Fluss war der Nebel immer noch so dicht, dass man die Schiffe nicht mehr sehen konnte. Ich hörte, wie im Nebel ein Polizist auf einem Polizeiboot einen Segler dazu aufforderte, in den Hafen nach Wedel zurückzufahren, weil er ohne Positionsleuchten und Dampferlicht nicht zu erkennen sei. Ich konnte beide Schiffe nur vom sicheren Ufer aus erahnen. Hier war der Elbhang mittlerweile gut sichtbar und der Elbhöhenweg vollkommen nebelfrei. Ich konnte den Weg gut sehen, aber der Fluss war noch vollständig im Nebel, und die Nebelwand erstreckte sich so, dass ich nicht flussaufwärts schauen konnte.

Wäre ich nicht zuvor am Leuchtturm vorbeigekommen und hätte mich vergewissern wollen, ob der Nebel sich hinter mir wieder zugezogen hat, hätte ich mich nicht umgedreht, und ich hätte dieses wunderbare herbstliche Panorama gar nicht wahrgenommen. Ich war fasziniert von dem diffusen Licht, in das die Sonne die Szenerie vor mir tauchte. Licht und Schatten.
Aber dann, der Blick zurück, und plötzlich bekam ich einen völlig neuen Eindruck. Es war als würde die Natur einen Schleier in Richtung Südosten von der Flussszenerie wegziehen.

Ich war in meinem Tempo ziemlich lange am Saum dieses Schleiers mitgewandert, und durch mein Innehalten und Lauschen bei dem Polizeiboot und dem Segler war ich dem Saum entkommen. Ich stand gar nicht mehr im Nebel, nur war ich mir dessen nicht bewusst. Ich hatte nun einen Blick auf den Nebel, und wenn ich zurückschaute sah ich dieses wunderschöne herbstliche Panorama.

Innehalten und die Aufmerksamkeit verändern.

Ich hatte das Ziel für einen Moment fahren “gelassen“, ich war aus der „Zielstrebigkeit“, dem Fokus, herausgetreten. Und indem ich das Ziel los“liess“ also es los“gelassen“ habe, wurde ich ge“lassen“.
Gelassenheit ermöglicht es mehr als nur eine Perspektive einzunehmen oder zuzulassen. Gelassenheit erkennt ihre eigene Fehlbarkeit und Begrenztheit an und kann deshalb andere Sichtweisen zulassen.
Gelassenheit erlebe ich im Hier und Jetzt und nicht im Hadern mit Vergangenheit oder Zukunft.

© Tilo Maria Pfefferkorn