„Ich fasse zusammen: Du hast mehr als 900 km zu Fuß in 46 Tagen zurückgelegt, dabei insgesamt mehr als 40.000 Höhenmeter überwunden und bist allen Witterungswechseln zum Trotz Tag für Tag weiter gewandert. Du bist vom Atlantik bis zum Mittelmeer durch die Pyrenäen Du bist stundenlang durch Regen gelaufen, hast Schneefelder bergauf und bergab überquert, bist bei 34, 35, 36° und mehr und zeitweise mit 15, 16, 17 kg auf dem Rücken weitermarschiert. Du hast im Zelt, im Caravan aber auch im Mehrbettzimmer oder in Lagern und Biwaks geschlafen. Du bist morgens wieder in die verschwitzte Kleidung vom Vortag gestiegen, nachdem Du am Tag vorher kennenlernen durftest, wie man auch mit nur 1 Minute Duschzeit gemütlich duschen kann. Ach, Du weißt das ja selbst am besten was Du mir alles erzählt hast, aber was hat Dir das nun gebracht? Warum tust Du Dir das an? Was hat das mit Dir gemacht? Was ist Dein Resümee?“
Ja, da sitze ich nun und überlege kurz. Was kann ich meinem Gegenüber antworten? Was kann ich sagen, dass es meinem Gegenüber ermöglicht eine Idee von dem zu bekommen, was mich bewegt eine solche Wanderung zu unternehmen und wie sehr mich diese Wochen bereichert haben.
„Du, es war einfach unbeschreiblich berührend mich wieder einmal so direkt und unmittelbar selbst zu erleben.“ Ja, das ist ein Aspekt, aber muss ich dafür 900 km zu Fuß gehen?
Der Mensch, der am 26. Mai in Irun ankam, um den Wanderweg (GR11) durch die Pyrenäen zu beginnen war einige kg schwerer als der, der dann am Mittelmeer ankam. Das hat mich schon allein äußerlich verändert. Ich fühle mich gesund und fit. All meine „Zipperlein“ wie Knie-, Rücken- und Gelenkschmerzen, das ewige Kratzen im Hals und den Nebenhöhlen und v.a.m. sind wie weggeblasen. Ja, ich habe mich gepflegt, mehr auf mich geachtet als sonst, denn ich wollte ja schließlich am „Cabo de Creuss“ (Mittelmeer) ankommen und nicht wegen irgendeines „Zipperleins“ abbrechen müssen. Ich habe „meine Zipperlein“ ernst genommen, d.h. ich bin nicht über sie hinweggegangen. Ich habe sie im wahrsten Sinne des Wortes eingewickelt und überwunden. Diese „Zipperlein“ waren ein Ausdruck meines Alltagslebens und waren in diesen Wochen nicht nur nicht hilfreich, sondern sogar äußerst hinderlich gewesen. Die brauchte ich, die brauchte mein Körper nicht mehr um mir etwas zu signalisieren. Mit dem klaren Ziel vor Augen, ich möchte diesen Weg gehen und schließlich am Ende des Weges am „Cabo de Creuss“ ankommen konnte ich leichter all die Verhaltensweisen ablegen und zurücklassen, die mich daran gehindert hätten dieses Ziel zu erreichen.
So ein Wanderweg ist ein wunderbares Beispiel für die Kraft, die einem selbstgesetzten Ziel innewohnt. Das Ziel ist klar, und der Weg und die einzelnen Etappen zum Ziel sind ziemlich fest umrissen. Es geht also „nur“ noch darum diese Etappen zu meistern und das dafür Notwendige zu tun. Gilt „eigentlich“ für jedes Ziel, oder? Ja, wenn es wirklich mein Ziel, wenn es wirklich Dein Ziel ist und wenn Du Dir darüber im Klaren bist, dass Du „den Weg“ oder „die Wege“ zum Ziel nehmen willst und nicht irgendeinen Weg gehen solltest.
„Du, es ist ein unbeschreibliches Gefühl sich unbeschwert bewegen zu können, zu wissen, dass ich dieses Körpergefühl jederzeit haben kann solange ich meinem Körper die Möglichkeit gebe und ihn nicht mit meinem „Alltag“ überfordere. Mein Alltag war viel fordernder als diese Wanderung über 900 km, bei der ich mich auf ein Ziel und nicht wieder und wieder auf so viele verschiedene und widersprüchliche Dinge konzentrieren wollte.“
Trotz der sicherlich spürbaren Begeisterung für das Wandern habe ich aber auch festgestellt, ich kann mir derzeit nicht vorstellen länger als 6-8 Wochen „auf der Straße“ zu leben. Mein Big Five, den PCT (Pacific Crest Trail, USA) in einem Stück zu wandern werde ich derzeit nicht weiterverfolgen und deshalb zunächst einmal in den nächsten Jahren nur Teilstücke begehen.
All diese Gedanken werde ich weiter verfolgen, denn wie schnell wird mich mein „Alltag“ wieder einholen. All die Gewohnheiten, die nur darauf warten wieder gelebt zu werden. Die gewohnte Umgebung, meine Familie und meine Mitmenschen werden mir helfen recht schnell wieder in „gewohnte Fahrwasser“ zurückzukommen. Es liegt nun an mir Alternativen aufzutun und neue Wege in gewohnter Umgebung zu beschreiten.
© Tilo Maria Pfefferkorn
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